Zum translationstheoretischen Angebot von Hans J. Vermeer
23.-25. November 2018
Hier finden Sie das Programm.
Vor bald 40 Jahren veröffentlichte Hans J. Vermeer seinen programmatischen Aufsatz „Ein Rahmen für eine allgemeine Translationstheorie“ (1978), in dem er zum ersten Mal einem größeren Fachpublikum die Grundzüge seines funktionalistischen Ansatzes präsentierte. Sorgte dieser Ansatz anfangs noch für heftige Kontroversen, so gehört er mittlerweile zu den festen Theoriebeständen translationswissenschaftlicher Forschung und Lehre. Dieser Umstand hat allerdings zur Folge, dass Vermeers theoretisches Angebot in der Regel auf die systematische Festlegung eines funktionalistischen Rahmens reduziert wird. Der Schließung, die daraus resultiert, steht jedoch Vermeer selbst entgegen. Wie besonders in seinen „anderen“ (translationshistorischen, ˗didaktischen, ˗wissenschaftstheoretischen bzw. ˗ethischen) Texten sichtbar wird, setzt sich Vermeer für eine Öffnung des translationswissenschaftlichen Theoriesystems ein. Ausdrücklich weist er durch die Betitelung seiner Arbeiten als „Versuch“, „Skizze“ oder „Entwurf“ auf die prinzipielle Vorläufigkeit (translations)wissenschaftlicher Erkenntnisse hin und fordert zugleich zum Mit-, Weiter- und Andersdenken auf.
Diese Tagung nutzt das anstehende 40-jährige Jubiläum des Rahmen-Aufsatzes, um an dieses Selbstverständnis Vermeers anzuschließen und seiner Aufforderung nachzugehen. Es geht daher nicht um eine bloße Würdigung und Rückschau auf seine Leistungen. Im Vordergrund dieser Konferenz steht vielmehr das Anliegen, Gedanken herauszugreifen, die ab- bzw. jenseits des kanonisierten Vermeers stehen und sie zum Ausgangspunkt neuer, auch abweichender und überraschender Reflexionen zu machen: im Sinne des Weiterskizzierens, Entwerfens und Versuchens.
Um die einzelnen Beiträge auf dieses Tagungskonzept hin auszurichten, werden zur Orientierung keine allgemeinen Themenschwerpunkte vorgeschlagen, sondern Vermeer-Zitate, welche die Vielfältigkeit und Vielstimmigkeit seines Werkes herausstellen. Hierbei geht es weniger um einen rein exegetischen Umgang mit den Zitaten, sondern vielmehr um das Lesen um die Gedanken herum sowie um die Erforschung außergewöhnlicher Assoziationen, auch produktiver Missverständnisse, die für die translationswissenschaftlichen Debatten nutzbar gemacht werden können. Gefragt sind also kreative Beiträge, die sich, von einem der angeführten Zitate ausgehend, dialogisch auf das Werk Vermeers bzw. auf einzelne Aspekte daraus beziehen, sich dort Anregungen holen.
Erwünscht sind Beiträge zu den folgenden Zitaten:
„Translationen. Grenzen abschreiten.“ Auf der Suche nach neuen Grundlagen für eine neue Translationstheorie. Erweiterte vorläufige Vorlesungsmanuskripte (2008/2009) Teil 1, S. 84, Fn. 67. <http://www.fb06.uni-mainz.de/vermeer>
„Sinn wird mit Werden. Aus der Interaktion gehen die Prozesse hervor, die für gewöhnlich Interaktion genannt werden. Zu ihnen gehört die Translation.“
Versuch einer Intertheorie der Translation. Berlin: Frank & Timme, 2006, S.35.
„Es gibt keine festen Regeln, weil es keine festen Grenzen gibt. Grenzen werden aktuell vom Translator gezogen.“
„Grenzen der Translation ausloten.“ Vortrag am 22. November 2008 in Germersheim im Rahmen der Fachtagung Translation als Schlüsselbegriff der Interdisziplinarität, S. 7. <http://www.fb06.uni-mainz.de/vermeer>
„Ein Translat hat also drei (oder sogar vier) Väter.“
Die Welt in der wir übersetzen. Heidelberg: TEXTconTEXT Wissenschaft, 1996, S. 247.
„Es gibt doch genug ‚fehlerhafte‘, aber voll gelungene Translationen!“
„Ein Rahmen für eine allgemeine Translationstheorie.“ Lebende Sprachen 23, 1978, S. 101.
„Vielleicht ist es das, was den guten Übersetzer ausmacht: Das Staunen angesichts der Fremdheit einer anderen Welt.“
„Naseweise Bemerkungen zum literarischen Übersetzen.“ TEXTconTEXT, 1986, S. 146.
„Wozu treibt man Historiographie? Wozu werden Translate und vergangene translatorische Handlungen untersucht?“
Skizzen zu einer Geschichte der Translation. Bd. 2. Altenglisch, Alt- und Frühmittelhochdeutsch: Literaturverzeichnis und Register für Band 1 und 2. Frankfurt a. M.: Verlag für Interkulturelle Kommunikation, 1992, S. 13.
„Is it not more constructive to ask ourselves what we as translators can do to try to contribute to an ever more humane life? What can we do? Must we not refuse to translate such texts? Should we not rather pass them over in silence, preferring to leave a gap, rather than actively helping to fill it?“
„No state of the art.“ Vortrag im Rahmen der Konferenz Translation and translation – des faux amis. Boğaziçi University Istanbul, Department of Translation and Interpreting Studies, 5-8 April 2007, S. 11.
„Das neue Motto [in der Translationslehre] soll heißen: ‚Vom Dolmetschen zum Übersetzen‘.“
Entwurf eines Curriculums für einen Studiengang Translatologie und Translatorik, zusammen mit Margret Ammann, Schriftenreihe der allgemeinen Übersetzungs- und Dolmetschwissenschaft des Instituts für Übersetzen und Dolmetschen der Universität Heidelberg Bd. 4, Heidelberg: translatorisches handeln, 1990, S. 36.
„Ich will den Translator (und meine Hörer und Leser) aus der eigenen Sorg- und Verantwortungslosigkeit des sich in der Gemeinschaft Treibenlassens locken.“
"Grenzen ausloten. Terminologische Skizzen." Auf der Suche nach neuen Grundlagen für eine neue Translationstheorie. Vorlesungsmanuskripte 2008/2009 Teil 2, S.291. <http://www.fb06.uni-mainz.de/vermeer>
„Man kann nicht in eines Anderen Kopf schauen, nur Annahmen über seine Gedanken, Evaluationen, Assoziationen usw. machen. Aber sich selbst ganz mit Körper, ratio, Gefühlen und Annahmen einsetzen: denken, träumen, Erwartungen hegen, Mythen bilden, handeln und interagieren, um reduktionalistische ratio zu überwinden, sich und den Anderen zu stimulieren (reizen!). Mit mehr Bällen jonglieren, als der Clown vorführt.“
„Zeichenspiele.“ Und sie bewegt sich doch…Translationswissenschaft in Ost und West, herausgegeben von Ina Müller, Frankfurt a.M. u.a.: Lang, 2004, S.386.