Raquel Pacheco Aguilar (Johannes Gutenberg-Universität Mainz)
„Man kann nicht in eines Anderen Kopf schauen, nur Annahmen über seine Gedanken, Evaluationen, Assoziationen usw. machen. Aber sich selbst ganz mit Körper, ratio, Gefühlen und Annahmen einsetzen: denken, träumen, Erwartungen hegen, Mythen bilden, handeln und interagieren, um reduktionalistische ratio zu überwinden, sich und den Anderen zu stimulieren (reizen!). Mit mehr Bällen jonglieren, als der Clown vorführt.“
Hans J. Vermeer. „Zeichenspiele.“ Und sie bewegt sich doch…Translationswissenschaft in Ost und West, herausgegeben von Ina Müller, Frankfurt a.M. u.a.: Lang, 2004, S.386.
Angefangen bei der Vermittlung von Sprachkenntnissen und Auslandskunde (Vermeer/Walz/Klebes 1963) über eine ganzheitliche, als ‚Kulturanthropologie‘ konzipierte Sprachlehrforschung (Vermeer 1978) bis zu den Entwürfen für einen Studiengang Translatorik und Translatologie (Vermeer 1986; 1990; Amman/Vermeer 1990; 1994) geht es in Hans J. Vermeers pädagogischen Überlegungen stets um eine Betonung der soziokulturellen Situiertheit sowie der Handlungsorientiertheit nicht nur der Translation, sondern auch des Lehrens und Lernens. Das translatorische Lehren und Lernen finden hierbei im Rahmen eines ‚Enkulturations-‘ bzw. ‚Zweitenkulturationsprozesses‘ statt, d.h. eines lebenslangen Vorgangs des „Erfahrungssammelns“, durch den das Individuum lerne, sich im Rahmen der jeweiligen soziokulturellen Gemeinschaft(en) „erwartungskonform“ zu verhalten (Vermeer 1993: 5). Dieser sozialisatorische Prozess betreffe das ‚ganze‘ Individuum – „Körper, ratio, Gefühle und Annahmen“ – und ziele nicht nur auf die Einführung der angehenden TranslatorInnen in die Berufsgruppe ab, sondern trage weiterhin zur Selbstbildung des ‚translatierenden Subjekts‘ bei.
Eine grundlegende Aufgabe des (institutionellen) Lernens und Lehrens der Translation stellt in Anlehnung an Vermeer die bewusste Entwicklung sprachlicher, kultureller, aber auch sozialer Praktiken des Herstellens von Relationen zwischen Sprachen, Kulturen und gesellschaftlichen Akteuren dar (Vermeer 1993). Es geht darum zu lernen, die Andersheit des Anderen wahrzunehmen, Perspektiven zu wechseln sowie Analogien hervorzurufen. Welche Rolle spielt in einem so konzipierten pädagogischen Verständnis das mimetische Verhalten, das spielerische Experimentieren sowie das vollziehende körperliche, situative und sinnliche Erfahren? Inwiefern kann das translatorische Lehren und Lernen letztendlich nicht nur im Rahmen des logisch-rationalen Erkennens, sondern ebenso als ein ästhetisches Erfahren gedacht werden (Seel 1996: 36-59)? Dieser Beitrag bezieht sich dialogisch auf Hans J. Vermeers pädagogisches Denken, um dabei auszuloten, inwiefern das Lehren und Lernen der Translation über seine logisch-rationalen Dimensionen hinaus in seinen ästhetischen Momenten erfasst werden kann.
Literatur:
Ammann, Margret und Vermeer, Hans J. (1990): Entwurf eines Curriculums für einen Studiengang Translatologie und Translatorik. Heidelberg (= th 4).
Ammann, Margret und Vermeer, Hans J. (1994): „Intensivkurs ‚Ausbildung der Ausbilder‘ für brasilianische Konferenzdolmetschdozenten“, in: TEXTconTEXT 9, 67-72.
Seel, Martin (1996): Ethisch-ästhetische Studien. Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1249. Frankfurt, M.: Suhrkamp.
Vermeer, Hans J.; Walz, H. und Klebes H. (1963): Sprache und Entwicklungshilfe. Bedeutung und Möglichkeit der Vermittlung von Sprachkenntnissen und Auslandskunde an deutsche Fachleute im Rahmen der Entwicklungshilfe für Afrika und Asien. Heidelberg.
Vermeer, Hans J. (1978): „Sprache und Kulturanthropologie. Ein Plädoyer für interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Fremdsprachendidaktik“, in: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 4, 1-21.
Vermeer, Hans J. (1986): „Betrifft: Dolmetschausbildung.“ TEXTconTEXT 1, 234-248.
Vermeer, Hans J. (1990): „Der Lehrstuhl für "Allgemeine Übersetzungs- und Dolmetscherwissenschaft" an der Universität Heidelberg“, in: pv aktuell [Information für die Pädagogische Verbindungsarbeit des Goethe-Instituts, München] 2, 14-15.
Vermeer, Hans J. (1993): „Wie lernt und lehrt man Translatorisch(-)?“, in: Lebende Sprachen 38.1.
“But to engage oneself wholly with body, ratio, feelings and assumptions” – Translation teaching and learning as aesthetic experience
From the teaching of language skills and the study of foreign countries (Vermeer/Walz/Klebes 1963) via all-compassing studies of language education conceived of as “cultural anthropology” (Vermeer 1978) to the outlines of a course of “translatorics” (“Translatorik”) and “translatology” (Vermeer 1986; 1990; Amman/Vermeer 1990; 1994), Hans J. Vermeer’s reflections on pedagogy always emphasize the sociocultural situatedness and a task-based approach not only when translating, but also in teaching and learning. Teaching and learning translation take place in the context of a process of “enculturation” or “Zweitenkulturation” (“second culturation”), i.e. a life-long process of “gaining experience”. Through this process, an individual learns to behave “in line with expectations” in their respective socio-cultural community (or communities) (Vermeer 1993:5). This socialization process affects the individual ‘as a whole’ – “body, ratio, feelings and assumptions” – and this not only aims at introducing the prospective translators into the professional field, but also contributes to the self-formation of the “translating subject”.
An elementary purpose of (institutional) learning and teaching of translation is, according to Vermeer, the conscious development of linguistic, cultural, and social practices in establishing relations between languages, cultures and social actors (Vermeer 1993). It involves learning to perceive the otherness of others, to change perspectives and to refer to analogies. What role do mimetic behaviour, playful experimentation and the physical, situational and sensory experiences play within such a concept of pedagogy? How can translation teaching and learning ultimately be thought of, not only in the context of logical-rational understanding, but also as aesthetic experience (Seel 1996:36-59)? This presentation draws, in form of a dialogue, on Hans J. Vermeer’s thoughts on education to determine in what way teaching and learning translation can be captured beyond its logical-rational dimensions in its aesthetic moments.
Translated by Johanna Eufinger