Gesprächssteuerungs- und Dolmetschstrategien im Umgang mit asymmetrischen Strukturen und Machtbeziehungen. Videographische Analyse von verdolmetschten Beratungsgesprächen in der Sozialen Arbeit

Yuliya Yakushova (Johannes Gutenberg-Universität Mainz)

„Es gibt keine festen Regeln, weil es keine festen Grenzen gibt. Grenzen werden aktuell vom Translator gezogen.“

Hans J. Vermeer. „Grenzen der Translation ausloten.“ Vortrag am 22. November 2008 in Germersheim im Rahmen der Fachtagung Translation als Schlüsselbegriff der Interdisziplinarität, S. 7. <http://www.fb06.uni-mainz.de/vermeer>

In meinem Beitrag präsentiere ich die Analyseergebnisse von verdolmetschten Beratungsgesprächen zwischen Klienten und Sozialarbeitern, bei denen nicht-professionelle Dolmetscher herangezogen wurden. Im Fokus meiner Analyse stehen die asymmetrischen Strukturen und Machtbeziehungen auf der gesellschaftspolitischen, institutionellen, intersubjektiven und subjektiven Ebene, die alle Gesprächsparteien der Triade in ihrem Handeln beeinflussen.

Dabei knüpfe ich meine Ausführungen an Vermeers Gedanken über „das Translatieren über kulturelle Grenzen hinweg“ an. In Anlehnung an Göhring (1978) bezeichnet Vermeer als „Kultur“ ein Regelinventar, das das „gesellschaftliche (soziale) Miteinander [reguliert]“. Dieses Regelinventar kann verschiedener Art sein bzw. auf verschiedenen Ebenen vorhanden sein: individueller (Mikro-), institutioneller (Meso-), gesellschaftspolitischer (Makro-)Ebene. Gleichzeitig merkt Vermeer an, dass jedes Handeln „ein Ziel, einen Zweck, „Skopos“, eine Funktion [hat], gleichgültig, ob dies dem Individuum bewusst wird oder unbewusst bleibt“. Für Vermeer bedeutet das translatorische Handeln daher „eine Funktion suchen, begründen und holistisch auszuführen versuchen“. Laut Vermeer existieren für den Translator keine festen Regeln im Translatieren. Der Translator selbst bestimmt über die Grenzen seines Handelns. Diese Grenzen zieht er im eigentlichen translatorischen Geschehen und orientiert sich dabei an seinem Ziel, seiner Funktion und/oder an ihn erteilte Aufgabe (Vermeer 2008, 2-7).

Meine Analyse orientiert sich an diesem Leitfaden. Im ersten Schritt zeige ich das beobachtete Regelinventar bzw. das Verhaltensrepertoire in Form von Gesprächssteuerungs- und Dolmetschstrategien, sowie (Macht-)Ressourcen von involvierten Dolmetschern auf. Diese bringe ich in Relation zu den Gesprächsstrategien und (Macht-)Ressourcen der Sozialarbeiter und Klienten sowie zum räumlichen Setting. Im nächsten Analyseschritt erforsche ich das Ziel bzw. den Zweck, den „Skopos“ und/oder die Aufgabe von involvierten Dolmetschern in Relation zu anderen Gesprächsbeteiligten. In der abschließenden Phase skizziere ich die Grenzen des translatorischen Handelns im Umgang mit asymmetrischen Strukturen und Machtbeziehungen in dokumentierten Beratungsgesprächen.

Während der Analyse stellte ich fest, dass die nicht-professionellen Dolmetscher ein eigenes Verhaltensrepertoire im Umgang mit den vorhandenen Asymmetrien und Machtbeziehungen aufweisen. Ebenso ist das Strategierepertoire der Dolmetscher von ihrer kulturellen, politischen und sozialen Identität, ihrem persönlichen Auftreten sowie ihrer körperlichen Präsenz und den räumlichen Gegebenheiten bestimmt. Durch ihr Handeln gestalten sie den Beratungsprozess mit. Die Analyse zeigt, dass das Handeln der nicht-professionellen Dolmetscher weit über die Grenzen der professionellen Prinzipien bzw. Verhaltensregeln im Bereich Dolmetschen hinaus geht. Sie gestalten die intersubjektive Beziehung in der Triade ausgehend von ihren bisherigen Erfahrungen und den räumlichen und strukturellen Ressourcen. Darüber hinaus setzen sie Fähigkeiten wie Annäherung, Distanzhaltung und Empathie gezielt für die eigene Positionierung innerhalb der asymmetrischen Strukturen ein.

Eine solche multidimensionale Reflexion benötigt eine methodologisch geeignete Vorgehensweise, die auf mehrere Interpretationsebenen ausgelegt ist. Da die Beratungsgespräche in Form vom Videomaterial dokumentiert wurden, ist eine solche Vorgehensweise anhand der aus Ethnographie und Filmwissenschaften entlehnten Methode –   der qualitativen Videointerpretation – möglich.

Literatur

Antonini R., Cirillo L., Rosatto L., u.a. (Hg.) (2017): Non-Professional Interpreting and Translation. Amsterdam; Philadelphia: John Benjamins.
Bahadir, Sebnem (2007): Verknüpfungen und Verschiebungen. Dolmetscherin, Dolmetschforscherin, Dolmetschausbilderin. Berlin: Frank und Timme
Kraus, Björn and Krieger, Wolfgang (2014): Macht in der Sozialen Arbeit. Lage: Jacobs-Verlag.
Knoblauch, Hubert, Rene Tuma and Bernt Schnettler (2013): Videographie. Einführung in die interpretative Videoanalyse. Wiesbaden: Springer
Heath, Christina, Hindmarsh, Jon and Luff, Paul (2010): Video in qualitative research. Los Angeles, London, New Delhi, Singapore, Washington: Sage.
Hale, Sandra and Napier, Jemina (2013): Research methods in interpreting: a practical resource. London etc.: Bloomsbury.


Interpreting and conversation management strategies in dealing with asymmetrical structures and power relations. Videographic analysis of interpreted consultations in a social work setting

In my paper, I will present the results of my analysis of consultations between clients and social workers, interpreted by non-professional interpreters. My analysis focusses on asymmetrical structures and power relations on societal, institutional, intersubjective and subjective levels, which influence the actions of all conversation participants.

In doing this, I will link my discussion with Vermeer’s thoughts on “translating across cultural borders”. Following Göhring (1978), Vermeer characterizes “culture” as an inventory of rules, that “[regulates ] societal (social) interactions”. This inventory of rules can be of different natures, or rather on different levels: the individual (micro), the institutional (meso-), the socio-political (macro) level. At the same time, Vermeer remarks that every action has “an aim, a purpose, Skopos, a function, regardless whether the individual becomes aware of or remains ignorant about this”. For Vermeer, translational action is hence “searching, justifying and holistically trying to perform an action”. According to Vermeer, there are no fixed rules for translation. The translators themselves determine the limits of their actions. They set these limits in the actual translation process and focus on their aim, their function, and/or their assigned task (Vermeer 2008, 2-7).

My analysis follows several steps: During the first step of my analysis, I demonstrate the observed inventory of rules, or rather the behavioral repertoire in the form of interpreting and conversation management strategies, as well as the (power) resources of the involved interpreter. I correlate these to the conversation management strategies and (power) resources of the social workers and the clients, as well as the spatial setting. In the next step of my analysis, I examine the Skopos, and/or the task of the involved interpreters in relation to the other conversation participants. In the final phase, I sketch out the limits of translational action in dealing with asymmetrical structures and power relations in recorded consultations.

During my study, I discovered that non-professional interpreters demonstrate their own behavioral repertoire when dealing with asymmetries and power relations. The strategy repertoire of the interpreters is also determined by their cultural, political and social identities, their own behavior, their physical presence and the spatial setting. They influence the consultation process with their own actions. My analysis shows that the actions of non-professional interpreters encompass far more than the professional principles or rules of conduct in the field of interpreting. They shape the intersubjective relations in the triad based on their previous experiences and the spatial and structural resources. Furthermore, they deliberately use abilities like approaching, keeping their distance and empathy in order to position themselves in these asymmetrical structures.

For such multidimensional reflection, one needs a methodologically appropriate approach which covers several interpretational levels. The consultations were recorded on video, which enables a qualitative video analysis based on videographic methods borrowed from ethnography and film studies.

Translated by Johanna Eufinger