Ruth Katharina Kopp (Universität Heidelberg)
„Man kann nicht in eines Anderen Kopf schauen, nur Annahmen über seine Gedanken, Evaluationen, Assoziationen usw. machen. Aber sich selbst ganz mit Körper, ratio, Gefühlen und Annahmen einsetzen: denken, träumen, Erwartungen hegen, Mythen bilden, handeln und interagieren, um reduktionalistische ratio zu überwinden, sich und den Anderen zu stimulieren (reizen!). Mit mehr Bällen jonglieren, als der Clown vorführt.“
Hans J. Vermeer. „Zeichenspiele.“ Und sie bewegt sich doch… Translationswissenschaft in Ost und West, herausgegeben von Ina Müller, Frankfurt a.M. u.a.: Lang, 2004, S.386.
Mit meinem Beitrag möchte ich versuchen, der von Hans J. Vermeer im ausgewählten Zitat gelegten Fährte vom Clown zum Translator nachzugehen und u.a. anhand der anthropologisch- und künstlerisch-theoretischen Überlegungen Constantin von Barloewens (2010) und Richard Weihes (2016) zu Figur und Mythos des Clowns Analogien und Antagonismen zwischen Clown und Translator und ihrer jeweiligen Ausbildung zu erkunden.
Grundlage hierfür soll das Zeichen oder vielmehr, wie Vermeer (2004:375f) es sagt, das Zeichen-im-Gebrauch sein. Das Zeichen-im-Gebrauch soll hier gleichsam synonym für Figur verwendet werden, eine Figur, die durch Konfiguration sich stets aufs Neue transformiert und daher auch als stete Zeichenwerdung verstanden werden kann. Vermeer mahnt jedoch zur Vorsicht: „Nicht das Wort wird zum Zeichen, sondern sein funktionaler Gebrauch macht es dazu“ (2004:378).
Clown und Translator werden in diesem Sinne zu Zeichen des Außer-Ordentlichen, der Störung. Sie sind indes als solche unentbehrlich – sie können sich in ihrer Funktion nicht vertreten lassen. Sie führen das Außer-Ordentliche erneut einer Ordnung oder einer neuen Ordnung zu. Als ein Dritter tritt beispielsweise der Clown auf, wenn die Manege für die nachfolgende Zirkusnummer vorbereitet wird. Er ist somit wie der Translator ein Scharnier zwischen Welten, ein Zwischenwesen mit „transkultureller Gültigkeit“, dem konstruktiv-anarchische Züge anhaften (Barloewen 2010:44 u. 140 / 2016:127f). Der Effekt seines Auftretens ist jedoch nicht starr und exakt prognostizierbar. Beide, Translator und Clown, stimulieren Resonanz, die mit Hartmut Rosa (72017) als dyadischer oder polyadischer „Beziehungsmodus“ (288) begriffen wird. Dieser ist durch reziproke Berührung von Entitäten „in einem schwingungsfähigen Medium (oder Resonanzraum)“ (285), die im Unterschied zum Echo ein unerzwungenes Antworten oder „Zurücktönen“ (285) mit der je eigenen Stimme zur Folge hat, gekennzeichnet.
Schließlich soll mit Nuar Alsadir (2018) konturiert werden, inwieweit wir vom Clown lernen können und inwiefern die gewonnenen Erkenntnisse anschlussfähig sind an neue methodische Ansätze translatorischer Lehre, wie sie von Dizdar (2015:175f) in Anlehnung an Bahadır (2010) umgesetzt und beschrieben wurden.
Literatur
Alsadir, Nuar (2018): „Schule für Clowns. Wie ich lernte, zuallererst auf meine innere Ordnung zu achten“, in: LI 120, 50-55.
Arnswald, Ulrich / Kertscher, Jens / Röska-Hardy / Louise (Hg.): Hermeneutik und die Grenzen der Sprache. Heidelberg: Manutius.
Bahadır, Şebnem (2010): Dolmetschinszenierungen: Kulturen, Identitäten, Akteure. Berlin: Saxa.
Barloewen, Constantin von (2010): Clowns. Versuch über das Stolpern. München: Diederichs.
Barloewen, Constantin von (2016): „Der Clown als konstruktiver Anarch. Reflexionen über die Dialektik des Clowns. Constantin von Barloewen im Gespräch mit Rafiu Raji und Richard Weihe“, in: Weihe, Richard (Hg.): Über den Clown. Künstlerische und theoretische Perspektiven. Edition Kulturwissenschaft Bd. 77. Bielefeld: transcript. 127-146.
Dizdar, Dilek (2015): „Translationslehre: Ziele und Methoden überdenken“, in: Müller, Ina (Hg.) Translationswissenschaft als Interdisziplin. Beiträge des Ehrenkolloquiums zum 70. Geburtstag von Heidemarie Salevsky. Berlin: epubli; 171-178.
Mersch, Dieter (2012): „An-Ruf und Ant-Wort“, in: Arnswald, Ulrich/ Kertscher, Jens/ Röska-Hardy, Louise (Hg.): Hermeneutik und die Grenzen der Sprache. Heidelberg: Manutius; 187-209.
Müller, Ina (Hg.) (2004): Und sie bewegt sich doch? Translationswissenschaft in Ost und West. Festschrift für Heidemarie Salevsky zum 60. Geburtstag. Frankfurt am Main usw.: Peter Lang.
Müller, Ina (Hg.) (2015): Translationswissenschaft als Interdisziplin. Beiträge des Ehrenkolloquiums zum 70. Geburtstag von Heidemarie Salevsky. Berlin: epubli
Ratzinger, Joseph ([1968]/62005): Einführung in das Christentum (darin das Gleichnis Søren Kierkegaards vom Clown und dem brennenden Zirkus). München: Kösel; S. 33-34.
Rosa, Hartmut (2016/72017): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp.
Siever, Holger (2010): Übersetzen und Interpretation. Die Herausbildung der Übersetzungswissenschaft als eigenständige wissenschaftliche Disziplin im deutschen Sprachraum von 1960 bis 2000. Frankfurt a. M.: Peter Lang.
Vermeer, Hans J. (2003): „Versuch einer translatologischen Theoriebasis“, in: Nord, Britta/Schmitt, Peter (Hg.) (2003): Traducta Navis. Festschrift zum 60. Geburtstag von Christiane Nord. Tübingen: Stauffenburg, 241-258.
Vermeer, Hans J. (2004): „Zeichenspiele“, in: Müller, Ina (Hg.): Und sie bewegt sich doch. Translationswissenschaft in Ost und West. Festschrift für Heidemarie Salevsky zum 60. Geburtstag. Frankfurt am Main/Berlin/Bern/Bruxelles/New York/Oxford/Wien: Peter Lang, 375-388.
Vermeer, Hans J. (2006): Versuch einer Intertheorie der Translation. Berlin: Frank + Timme.
Weihe, Richard (Hg.) (2016): Über den Clown. Künstlerische und theoretische Perspektiven. Edition Kulturwissenschaft Bd. 77. Bielefeld: transcript.
Weihe, Richard (2016): „Das (Un-)Behagen am Clown. Einleitung“, in: Weihe, Richard (ed.).: Über den Clown. Künstlerische und theoretische Perspektiven. Edition Kulturwissenschaft Bd. 77. Bielefeld: transcript.
Juggling signs and standing out from the rest: the clown as translator – the translator as clown?
In my presentation, I want to pursue the connection between the clown and the translator as addressed by Hans J. Vermeer in the chosen quotation. With the anthropological and artistic-theoretical thoughts of Constantin von Barloewen (2010) and Richard Weihe (2016) on the figure and myth of the clown, I will explore the analogies and antagonisms between clown and translator and their respective forms of training.
The sign or rather, as Vermeer (2004:375f) puts it, the sign-in-use will provide the basis. The sign-in-use should, at the same time, be viewed here as a synonym for the figure – a figure that always keeps transforming through configuration and hence could be interpreted as a constant emergence of signs? Vermeer urges caution: “It is not the word which becomes a sign, but it is its functional use that makes it one” (2004:378).
In this sense, clown and translator become signs of the extra-ordinary, the disturbance. At the same time, they are invaluable – they can’t be replaced in their function. They reassign order or assign a new order to the extra-ordinary. The clown acts as a third party when the circus ring is being prepared for the subsequent act. Therefore, like the translator, he acts as a hinge between worlds, an intermediary entity with “transcultural validity”, to whom constructive-anarchist characteristics adhere (Barloewen 2010:44 and 140 /2016:127f). The effect of his appearance is, however, neither static nor completely predictable. Both translator and clown stimulate resonance, which is understood as a dyadic or polyadic “mode of relationship” by Hartmut Rosa (72017:288). This “mode” is characterized by the reciprocal contact between entities “in an oscillating medium (or resonance chamber)” (285), which is – in contrast to the echo – followed by a spontaneous response or “acoustic resonance” (285) with their respective voices.
Finally, using Nuar Alsadir (2018), I will outline in what way we can learn from clowns and how this acquired knowledge can be connected to new methodological approaches in translation studies as they were implemented and described by Dizdar (2015:175f) following Bahadır (2010).
Translated by Johanna Eufinger