Professionalisierung und Dolmetschen als (Lohn)Arbeit

Birsen Acar (Johannes Gutenberg-Universität Mainz)

„Ich will den Translator (und meine Hörer und Leser) aus der eigenen Sorg- und Verantwortungslosigkeit des sich in der Gemeinschaft Treibenlassens locken.“

Hans J. Vermeer. "Grenzen ausloten. Terminologische Skizzen." Auf der Suche nach neuen Grundlagen für eine neue Translationstheorie. Vorlesungsmanuskripte 2008/2009 Teil 2, S.291. <http://www.fb06.uni-mainz.de/vermeer>

Dieser Beitrag unternimmt den Versuch, vorhandene Semantiken zur Profession, Professionalität und Arbeit im Zusammenhang mit dolmetscherischer Handlung in der Dolmetschwissenschaft zu analysieren. Ziel ist dabei, mögliche Muster im Verständnis von Professionalität und in der Beziehung zwischen Profession, Professionalität und (Lohn)Arbeit zu finden, um durch eine Rekonstruktion dieser Semantiken eine explorative Analyse durchführen und dadurch eine Basis für eine deskriptive Auseinandersetzung schaffen zu können. Zur Entwicklung theoretischer Aussagen soll die Negative Dialektik als theoretisches Instrument genutzt werden. Dabei wird forschungsmethodisch nach der interpretativen Sozialforschung verfahren.

In diesem Sinne werden Definitionen von Profession, Professionalität und Arbeit in dolmetschwissenschaftlichen Texten seit 1980 gesucht, um zunächst nach dem mikroökonomischen Aspekt der Gestaltung von translatorischer Handlung nach Vermeer bzw. dolmetscherischer Arbeitshandlung als einer Form von (Lohn)Arbeit in Zusammenhang mit Professionalisierung zu suchen. Dies bildet den ersten Teil meines Dissertationsprojekts, in der ich der Beantwortung der Frage „Welche Form von (Lohn)Arbeit ist die dolmetscherische Arbeitshandlung?“ nachgehe.

Mit (Lohn)Arbeit wird der durch den neuzeitlichen Arbeitstypus entstandene und in gegenwärtigen Gesellschaftsverhältnissen auch auf unterschiedliche Berufe, die bis zur Gegenwart mehr zum Bildungsbürgertum oder auch der Elite einer Gesellschaft zugerechnet wurden, übertragbare Form von entlohnter Arbeit bezeichnet. Diese neuzeitliche Lohnarbeit zeichnet sich nach Marx dadurch aus, dass die Arbeitenden keine Produktionsmittel besitzen und aus diesem Grund gezwungen sind ihre Arbeitsleistung wie eine Ware zu verkaufen. Die daraus resultierenden Lohnanforderungen führen zu einer doppelten Konkurrenz, weswegen der Arbeiter (Dolmetscher) einem Arbeitgeber (Auftraggeber) ausgesetzt ist, der Interesse an möglichst geringen Löhnen hat. Andererseits bewegt sich der Arbeiter in einem Arbeitsumfeld (oder auf einem Arbeits- bzw. Dolmetschmarkt), in dem der Arbeiter mit allen anderen Individuen sich in einer Konkurrenz um die Arbeit (den Auftrag) befindet. Die Anwendung dieser Merkmale auf das Dolmetschen als Arbeit, soll zur weiterführenden Auseinandersetzung mit den Teilthemen „Dolmetschen als Ware“, „dolmetscherische Produktionsmittel“, „Dolmetschen und Konkurrenz“ führen. Im Weiteren wird dann nach möglichen Verknüpfungen zum makroökonomischen Aspekt der Märkte und in diesem Zusammenhang der Interaktionen zwischen Produzenten und Konsumenten gesucht.

Grund dieser Herangehensweise ist die These, dass es in berufsreflexiven Studien zur Profession bzw. zur Professionalität dolmetscherischen Handelns intensive Auseinandersetzungen mit professionstheoretischen Aspekten gibt, das Dolmetschen als Lebensunterhalt sichernder Beruf jedoch aus dem Blickfeld gerät.

An dieser Stelle beginnend, möchte dieser Beitrag vorhandene Auseinandersetzungen hervorbringen, um daran anschließend, weitere Diskussionen über Verbesserungsmöglichkeiten der Arbeitsumstände auf dem Dolmetschermarkt in Deutschland führen zu können. Denn dies kann die Möglichkeit schaffen, „den Translator […] aus der eigenen Sorg- und Verantwortungslosigkeit des sich in der Gemeinschaft Treibenlassens [zu] locken.“ (Vermeer 2008/2009 Teil 2, S.291. http://www.fb06.uni-mainz.de/vermeer). Schließlich könnte das Interesse für polit-ökonomische Themen des Dolmetschens, wie Berufsanerkennung, Arbeitsverhältnisse, Arbeitszeiten, Preispolitik, Markt und Marktstrukturen (Zugang und Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt) geweckt werden.

Literatur:

Adorno, Theodor W. (1988): Negative Dialektik. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Aßländer, Michael S., Wagner, Bernd (Hrsg.) (2017): Philosophie der Arbeit - Texte von der Antike bis zur Gegenwart. Berlin: Suhrkamp.
Froschauer, Ulrike und Lueger, Manfred (2009): Interpretative Sozialforschung: Der Prozess. Stuttgart: UTB.
Grimstein, Jens und Urban, Urs (Hrsg.) (2015): Texte zur Theorie der Arbeit. Leipzig: Reclam.
Reiß, Katharina und Vermeer, Hans J. (1984): Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie. Tübingen: Niemeyer.
Vermeer, Hans J. (1990): Skopos und Translationsauftrag: Aufsätze. Institut für Übersetzen und Dolmetschen. Heidelberg: Selbstverlag
Vermeer, Hans J. (1993): „Wie lernt und lehrt man Translatorisch(-)?“, in: Lebende Sprachen 38, 5-8.
Vermeer, Hans J. (1996): Die Welt, in der wir übersetzen: drei translatologische Überlegungen zu Realität, Vergleich und Prozeß. Heidelberg : TEXTconTEXT.
Lueger, Manfred (2010): Interpretative Sozialforschung: Die Methoden. Stuttgart: UTB.


Professionalization and interpreting as (wage) labor

This presentation  attempts to analyze existing semantics  of profession, professionality and labor in interpreting studies. Its objective is to find possible patterns in the understanding of professionality and in the relations between profession, professionality and (wage) labor. Another aim is to conduct an exploratory analysis by reconstructing these semantics  and to create a base for a descriptive analysis. This is done by using the methods of interpretative social research. Publications in interpreting studies from 1980 onwards are examined to find definitions of profession, professionality and labor. The purpose of this examination is to find the micro-economic aspect of constructing translatorial  action in Vermeer’s sense, or rather: of constructing the interpretational work process as a form of (wage) labor linked to professionalization. This constitutes the first part of my dissertation project, with which I try to answer the question “What form of (wage) labor does the interpretational work process represent?”

(Wage) labor is the term for the transferable type of paid labor that originated in modern times; this term is, however, also used in present-day society for different professions which were assumed by the educational or social elite of a given society. This modern wage labor is, according to Marx, defined by the fact that the workers do not possess any means of production and are thus forced to sell their workmanship like a  commodity. This results in wage demands which lead to double the competition: this is why the worker (interpreter) is subjected to an employer (commissioner) in a work environment (or on the job or on the interpreting market), in which the workers, along with all other individuals, find themselves competing for work (their assignments). Attributing these characteristics to interpreting as a form of labor, should lead to a further discussion of the sub-topics of “interpreting as a  commodity” “interpreting-related means of production”, “interpreting and competition”. In addition, the possible links to macro-economical aspects of marketplaces and, in connection with this, the interactions between producers and consumers are investigated.

The reason behind this approach is the statement/observation? that there are intense discussions of aspects of professional theory in research which reflect on the profession or the professionality of interpretational action, whereas the aspect of interpreting being a profession offering fair wages is no longer of interest.

Starting at this point of departure, this paper will highlight existing controversies in order to encourage further discussions about possible improvements for the labor conditions on the interpreting market in Germany. This could create the possibility of luring the translator […] away from the carelessness and irresponsibility of letting oneself drift in the community (Vermeer 2008/2009, Part 2, 291.). Lastly, this could spark interest in the politico-economic issues in interpreting, such as professional recognition, working conditions, working hours, pricing policy, the market and market structures (access to and relations in the job market).

Translated by Johanna Eufinger