Von Barbaren und Papageien. Translation und die sprachlichen Grenzen des Humanen

Tomasz Rozmyslowicz (Universität Wien)

„Kommunikation, Translation sind ‚Auslöser‘ für Gruppen- bzw. Gesellschaftsbildungen oder ihre Auflösung.“
Hans J. Vermeer. „Translationen. Grenzen abschreiten.“ Auf der Suche nach neuen Grundlagen für eine neue Translationstheorie. Erweiterte vorläufige Vorlesungsmanuskripte (2008/2009) Teil 1, S. 84, Fn. 67. <http://www.fb06.uni-mainz.de/vermeer>

Die ‚Soziologisierung‘ des translationswissenschaftlichen Diskurses beginnt nicht erst mit der Rezeption der soziologischen Theorieangebote Bourdieus, Luhmanns und Latours, wie in der Rede von einem social turn häufig suggeriert wird. Im deutschsprachigen Raum ist es vor allem der Ende der 1970er Jahre entstehende Funktionalismus Hans J. Vermeers, der als Translationssoziologie avant la lettre gewertet werden kann. Schließlich bestand sein grundlegendes Erkenntnisinteresse darin, der Translation in den „Netzwerken ihrer Lebenszusammenhänge“ (Vermeer 1994: 43) theoretisch habhaft zu werden. Sowohl der auf Max Weber zurückgehende Handlungsbegriff (Weber 1995), den er seinem Entwurf einer allgemeinen Translationstheorie zugrunde legte, als auch die spätere These, Translation sei ‚Auslöser‘ für Gruppen- bzw. Gesellschaftsbildungen oder ihre Auflösung, zeugen von dessen soziologischem Charakter.

Dieser Vortrag geht davon aus, dass eine ernstzunehmende ‚Soziologie der Translation‘ zunächst an der von Vermeer bereits geleisteten Arbeit ansetzen und die Probleme aufgreifen muss, welche diese für jene hinterlässt. Eines dieser Probleme verbirgt sich in den stillschweigenden anthropologischen Voraussetzungen, die in seinen handlungstheoretischen Translationsbegriff eingehen und die Frage der translationsbedingten Gruppen- bzw. Gesellschaftsbildung betreffen. Diese Voraussetzung bestimmt den Menschen als grundsätzlich der Sprache fähiges und daher übersetzbares Wesen. Die sprachlichen Äußerungen eines jeden Menschen sind durch einen anderen Menschen übersetzbar. Welche Äußerungen kommen aber überhaupt als sprachliche Äußerungen, welche Menschen als übersetzbare Menschen in Frage?

Soziologische Forschungen zur historischen Semantik des Fremden (Stichweh 2010) und gesellschaftlichen Grenzregimen (Lindemann 2011) legen den Verdacht nahe, diesbezüglich von historischer Kontingenz ausgehen zu müssen: So beschreibt der griechisch-antike Begriff des Barbaren die Sprache der Nicht-Griechen als ein unverständliches Gestammel. Und von amerikanischen ‚Indianern‘ wurde behauptet, eine Art Papagei ohne eigene Sprache zu sein, der europäische Sprachen bloß imitiert (Smith 1985). Daher wird in diesem Vortrag der Frage nachgegangen, ob und inwiefern Translationsprozesse stets auch vor dem Hintergrund variabler Grenzregime stattfinden, die festlegen, welche Sprachen als Sprachen und folglich, welche Menschen als übersetzbare Menschen gelten. Von ihnen könnte die Reichweite des gesellschaftsbildenden und -auflösenden Potentials der Translation abhängen.

Literatur

Lindemann, Gesa (2011): „Anthropologie, gesellschaftliche Grenzregime und die Grenzen des Personseins“, in: Ethik in der Medizin 23:1, 35-41.
Smith, Jonathan Z. (1985): „What a Difference a Difference Makes“, in: Neusner, Jacob/Ernest S. Frerichs (Hg.): „To See Ourselves as Others See Us“. Christians, Jews, „Others“ in Late Antiquity. Chico/Cal.: Scholars Press, 3-48.
Stichweh, Rudolf (2010): „Fremde, Barbaren und Menschen. Vorüberlegungen zu einer Soziologie der ‚Menschheit‘, in: ders.: Der Fremde. Studien zur Soziologie und Sozialgeschichte. Berlin: Suhrkamp, 25-44.
Vermeer, Hans J. (1994): „Übersetzen als kultureller Transfer“, in: Snell-Hornby, Mary (Hg.): Übersetzungswissenschaft – Eine Neuorientierung. Zur Integration von Theorie und Praxis. 2. Aufl. Tübingen/Basel: Francke, 30-53.
Weber, Max (1995): „Soziologische Grundbegriffe“, in: ders.: Schriften zur Soziologie. Herausgegeben und eingeleitet von Michael Sukale. Stuttgart: Reclam, 303-311.


Of barbarians and parrots. Translation and the linguistic borders of the human

The ‘Sociologisation’ of Translation Studies does not begin with the reception of sociological theories (Bourdieu, Luhmann, Latour), as is often suggested in the talk of a ‘social turn’. In German Translation Studies Hans J. Vermeer’s functionalism, emerging in the late 1970’s, can be considered a translation sociology avant la letter, because his basic interest consisted in theorising translation in its “networks of life” (Vermeer 1994: 43). The Weberian (Weber 1995) concept of action grounding his General Theory of Translation as well as the later hypothesis that translation is a catalyst for the formation and dissolution of groups and societies testify to the sociological dimension of Vermeer’s thinking.

This presentation assumes that a ‘Sociology of Translation’ worthy of its name needs to draw on the work Vermeer and pick up the problems it has left behind for such an endeavour. One such problem is rooted in the tacit anthropological assumptions of his action theoretical concept of translation. It affects the question of translation’s potential to act as a catalyst for the formation and dissolution of groups and societies. This assumption determines humans as speaking and therefore translatable beings. Every linguistic utterance of a human being is translatable by another human being. But which linguistic utterances come into consideration as linguistic utterances, which human beings as translatable human beings?

Sociological research on historical semantics of the stranger (Stichweh 2010) and social border regimes (Lindemann 2011) suggest that the answer is historically contingent. The Greek concept of ‘Barbarians’, for example, described the language of the Non-Greeks as incomprehensible stammering. American ‘Indians’ were said to be parrots with no language of their own, just imitating European languages: The ‘other’ does not speak (Smith 1985). This paper investigates if and in what sense translation is predicated upon variable border regimes deciding which languages come into question as languages and which humans as translatable humans. Such regimes could condition the range of translation’s potential to form or dissolve societies.

Translated by Tomasz Rozmyslowicz